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Laufbahn-(Geh)spräche: ein bewegtes Laufbahn-Beratungskonzept in der Natur

 

Eine Laufbahnberatung draussen in der Natur? Für die meisten Menschen stellt sich diese Frage gar nie, denn unser Denken verläuft meist in festgefahrenen Mustern. Eine Beratung hat doch in einem Raum stattzufinden, wo denn sonst? Aber genau diese traditionellen Muster verhindern oft ein out-of-the-box-Denken, oder in diesem Falle vielmehr ein Denken und Handeln «out-of-the-office». Aus diesem Grund haben Christoph Sigrist und ich (Kurt Adank) ein wissenschaftlich abgestütztes, inzwischen auch erprobtes, ganzheitliches Beratungskonzept in Bewegung und in der Natur entwickelt – die Laufbahn-Ge(h)spräche.

 

 

Wieviel Natur und Bewegung braucht der Mensch (in der Beratung)?


Die heutige Zeit ist geprägt von Schnelllebigkeit, Effizienz und einer hohen Taktfrequenz im

Berufs- und mittlerweile auch im Privatleben der meisten Menschen. Hinzu kommt, dass die

meisten Tätigkeiten in Büros und im Sitzen abgearbeitet werden. Mit dem Konzept der Laufbahn-Ge(h)spräche möchten wir bewusst einen Gegenpol zu diesem Trend setzen. Unsere Natur dient in so mancher Hinsicht als Vorbild und Inspirationsquelle, wo wir unsere Kreativität wiedererlangen und mit allen Sinnen lernen und geniessen können. Die bewegte Beratung im Freien ermöglicht es, sich in einem etwas anderen Beratungssetting ganzheitlich zu erleben, sich mehr der Spontaneität, dem Unerwarteten, den Gefühlen und den Emotionen hinzugeben und sich ihnen gegenüber zu öffnen. Und genau dieses Öffnen und der bessere Zugang zu eigenen Gefühlen und Emotionalität bilden eine unglaublich starke Grundlage für eine erfolgreiche Laufbahnberatung.

 

Die positiven Wirkungen von Natur und Bewegung auf die Psyche, den Körper und das Denken haben bereits Hippokrates von Kos (der wohl bekannteste Arzt der Antike, ca. 460-370 v. Chr. „Gehen ist die beste Medizin.“) und Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) belegt. So wurde an der Schule von Aristoteles damals das peripatetische, „wandelnde Denken“ gelehrt und praktiziert, im Wissen darum, dass das kreative Denken dabei gefördert wird.

 

 

Für wen passen die Laufbahn-Ge(h)spräche? Zum Beispiel für Tina

 

Tina (Name geändert) ruft mich an, um sich über eine Beratung bei mir zu informieren. An einem längeren Telefongespräch stellt sich unter anderem bald heraus, wo der Schuh drückt. Ich erahne, weshalb sie von einer spürbaren Unruhe getrieben sein könnte. Mal schauen. Tina arbeitet als Lehrperson und hat Familie mit 2 jugendlichen Kindern, Hund und Katze. Zudem teilt sie mir mit, dass sie naturverbunden sei und sich in ihrer Freizeit gerne draussen aufhält. So stelle ich ihr neben den konventionellen Beratungsangeboten auch das Konzept der Laufbahn-Ge(h)spräche vor und siehe da – ein Match!

 

So gesehen eignen sich die Laufbahn-Ge(h)spräche für alle, die bereit sind, sich für Neues zu öffnen, in andersartigen Mustern zu denken und zu handeln, sowie den Bezug zur Natur schätzen. Beim diesem „creative walking“ geht es nicht darum, möglichst schnell von A nach B zu kommen, sondern sich bewusst auf die Affordanzen der Natur einzulassen.

 

Empfohlene Literatur zu „creative walking“: Zurück zur Natur? Springer Fachmedien Wiesbaden (Flade A., 2018)

 

 

Tina und ich unterwegs auf Laufbahn-Ge(h)sprächen

 

Auf unser erstes Laufbahn-Ge(h)spräch hin erhält Tina die Aufträge, einerseits mit ihrer Lebenslinie in einer Retrotspektive auf ihr (Berufs)Leben zurückzuschauen und andererseits mit einer Online-Standortbestimmung den Fokus dann auf ihr aktuelles Leben zu richten. Für unser Erstgespräch treffen wir uns auf einem Bauernhof am Dorfrand, wo wir uns draussen an einem Tisch mit wunderbarer Weitsicht austauschen und kennenlernen. Ich erläutere Tina dort auch nochmals das ganze Beratungssetting, die Beratungsweise mit dem begleitenden Reisetagebuch (Laufbahntagebuch), stecke die Rahmenbedingungen ab und beantworte ihre Fragen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Tina bereits viel lockerer drauf ist, als noch am Telefon. Jetzt geht’s los, ausgerüstet nur mit dem Reisetagebuch, ihren mitgebrachten Resultaten aus den Aufträgen und Schreibzeug.

 

Langsam nebeneinander hergehend kommen wir sehr schnell auf die wesentlichen Lebens- und Berufsthemen zu sprechen. Den Blick nicht frontal aufeinander gerichtet, wie im Bürosetting, sondern gemütlich spazierend, weg von der Alltagshektik und dem Bürotrott. Das erlebe ich als Schlüssel für den Zugang zu sich selbst. Als es zwischendurch über Stock und Stein geht, meint Tina: «Fast so, wie in meinem Leben, ein ständiges auf und ab.». Nach etwa zwanzig Minuten setzen wir uns auf eine Bank und beziehen nun ihre erledigten Aufträge mit ein. (Lebenslinie und Standortbestimmung). Die Lebenslinie können wir auf dem Waldweg mit Holzästen auslegen und das Ganze viel grösser darstellen. Wir schreiten gemeinsam ihre Stationen im Leben ab und Tina erzählt mir von einschneidenden Momenten, die grössere Veränderungen mit sich brachten. Durch den Einbezug der Natur scheint Tina total bei sich angekommen zu sein. Bald ist auch der Moment gekommen, wo es sich anbietet, die ersten Erkenntnisse aus den Gesprächen zu ihren Berufs- und Lebensthemen ins Reisetagebuch zu notieren. Dabei halten wir Erkenntnisse aus der Standortbestimmung verbindlich fest, welches ihre Handlungsprioritäten für die nächsten Wochen und Monate sind.

 

Auf der zweiten Hälfte des ersten Laufbahn-Ge(h)sprächs werden die Interessen und Neigungen von Tina ins Zentrum gerückt. Sie meint zuerst, dass sie gar keine Interessen habe, denn Job und Familienhaushalt beanspruche sie zu 100%. Im Gespräch wird ihr dann aber schnell bewusst, dass sie früher sehr wohl Interessen hatte, diese im Moment aber einfach nicht als Hobby ausüben kann. So tragen wir eine ganze Liste an Faszinationen und Interessen zusammen, die Tina auf einer nächsten Bank ins Reisetagebuch aufnimmt. Ebenso besprechen wir Möglichkeiten, sich Freiräume zu schaffen, um langsam aber Schritt für Schritt wieder Hobbies in den Alltag einbinden zu können. Schritt für Schritt sind wir nebeneinander hergegangen und schon sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Wir setzen uns beim Bauernhof an den Tisch, resümieren das erste Laufbahn-Ge(h)spräch und besprechen die Aufträge für den nächsten, bewegten Beratungstermin in der Natur. Tina sieht die Kühe auf der Weide nebenan, welche gemütlich beim Wiederkäuen sind. Das scheint ihre Wirkung getan zu haben, denn Tina meint «So entspannt möchte ich auch mal durchs Leben gehen können, wie diese Kühe.». Nach einem Austausch darüber entscheidet sich Tina, dies als ihr Mottoziel im Reisetagebuch aufzunehmen. «Mit mehr Gelassenheit durchs Leben gehen.». Wo sonst, wenn nicht draussen in der Natur, wäre ihr dieser Einfall gekommen? Ein wunderbares Beispiel von Serendipität (zufällige nicht geplante Entdeckung von etwas nicht Gesuchtem). Sie freut sich jetzt schon auf das nächste Laufbahn-Ge(h)spräch.

 

Empfohlene Literatur zur Arbeit in und mit der Natur: Arbeitsraum Natur: Handbuch für Coaches, Trainer und Organisationen. Springer Fachmedien Wiesbaden (Gans C., Dienemann K., Hume A., Lorino A., 2020)

 


Die Routenwahl ist entscheidend

 

Die Routenwahl ist jeweils abgestimmt auf die Fokusthemen an den Gesprächen. So führt die zweite Route mit den Fokusthemen Energiehaushalt und Stärken/Kompetenzen entlang der Reuss zu einem kleinen Stauwehr. Dieses symbolisiert auf anschauliche Weise die Kraft des unscheinbaren Wassers. Der Kommentar von Tina: «Wow, diese gewaltige Kraft!». Und das von einem langsam, aber stetig fliessenden Wasser. Mit dieser Symbolik von Kraft, Kontinuität und Ausdauer ein idealer Ort, um auf die eigenen Ressourcen und Stärken zu fokussieren.

 

Hinweis aus beraterischer Sicht: Es ist absolut zentral, dass die Beratungsperson die Wege gut kennt und regelmässig abläuft. Damit kann man negative Überraschungen vermeiden und die Wahrscheinlichkeit für ein erfolgreiches Gelingen enorm erhöhen. Auch hier gilt, eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete.

 


Den Blick öffnen

 

Im dritten Laufbahn-Ge(h)spräch möchte ich den Blick von Tina auf einer Route mit einladend weitem Alpenhorizont öffnen. Es begleiten sie ihr Reisetagebuch (Laufbahntagebuch) und die Resultate eines intensiven Rechercheauftrages zu Berufsfeldern und Berufen. Weil Tina sich inzwischen besser kennengelernt hat, kann sie nun auch die Frage beantworten, was sie wirklich will, und was sie nicht (mehr) will. Das Recherchieren und Eingrenzen fällt ihr nun leichter, weil sie ihre Voraussetzungen, Wertvorstellungen, Interessen und Stärken durchleuchtet und inzwischen neu bewertet hat. Indem ich Tina gezielte Fragen stelle, sie herausfordere, ihr zusätzliche Informationen gebe und sie auch immer wieder in wichtigen Entscheidungen begleite (sie diese aber selber machen lasse), macht sie grosse Fortschritte in ihrer Selbstwirksamkeit. Tina weiss, im neuen Arbeitsumfeld will sie sich mehr fokussieren können und weniger unter Dauerstrom stehen. Abend- und Wochenend-füllende Korrektur- und Vorbereitungsarbeiten möchte sie in Zukunft ebenfalls vermeiden, um so mehr Zeit für Familie und Hobbies zu haben.

Auf einem Rastplatz mit wunderbarer Fernsicht sortieren, hinterfragen und bewerten wir gemeinsam ihre recherchierten Berufsfavoriten. Stellvertretend für die einzelnen Berufe, fordere ich Tina auf, mit verschieden grossen Steinen eine Priorisierung der Gewichtung ihrer Berufsauswahl vorzunehmen. Bildlich wird Tina eines sofort klar, Lehrerin ist zwar noch dabei und steht an achter Stelle, aber das reicht ihr nicht, um langfristig glücklich zu sein. «Ich muss und will mich verändern!»

 

Hinweis aus beraterischer Sicht: Gerade in einer Laufbahnberatung ist es wichtig, sich neuen Optionen gegenüber öffnen und alte Muster ablegen zu können. Genau dies gelingt in der Natur häufig besser, da bereits das Beratungssetting «neu» ist.

 


Entscheiden

 

Tina nimmt ihre Top3 Berufe (Psychologin, Tierärztin, Trampilotin/Fahrerin öffentlicher Verkehrsmittel) als Auftrag und Vorbereitung für das vierte Laufbahn-Ge(h)spräch mit nach Hause. Mit weiteren, vorbesprochenen, gezielten und vertieften Recherchen und Abklärungen, sowie mit Berufs-Interviews mit Berufsfachleuten zu diesen drei Berufen bereitet sie sich darauf vor und erscheint einen Monat später aufgestellt zur Beratung. Von ihren drei Berufsfavoriten kann sie durch ihre Interviews und Gespräche mit ihrer Familie bereits einen Beruf selber wieder ausscheiden. Die Tierärztin wäre zwar spannend, aber der Aufwand für das Studium, sowie der Verzicht auf Familienzeit wiegen trotz Unterstützung ihres Mannes zu schwer für sie. So machen wir uns auf den Weg zum letzten Laufbahn-Ge(h)spräch. Es geht darum, Tina in der Entscheidung zu unterstützen zwischen den beiden verbliebenen Berufen. Ich entscheide mich für eine Art von Tetralemma-Coaching und gehe mit ihr an einer Verzweigung bewusst zwei verschiedene Wege (Bild). Was sind die Vor- und Nachteile des Weges A (Psychologin) und des Weges B (Trampilotin) und wie fühlt es sich an, sich in Gedanken, voll darin zu bewegen? Ihre vertieften Recherchen und die Gespräche mit Berufsfachleuten helfen Tina, sich besser in die Situationen/Berufe versetzen zu können. Am Ende der intensiven Auseinandersetzung entscheidet der für Tina wichtige Faktor, dass sie nicht nur FÜR Menschen eine Dienstleistung erbringen möchte, sondern auch in echter Auseinandersetzung mit dem Menschen arbeiten möchte. Dies ist eine Ressource, die sie aus dem aktuellen Beruf mitbringt und weiter nutzen möchte. Deshalb ist es für sie das Psychologiestudium, für das sie sich entscheidet.

 

Empfohlene Literatur, um ins handlungsorientierte Coaching zu kommen: Handlungspsychologische Grundlagen des Coaching, Springer Fachmedien Wiesbaden (Kuhl J. Strehlau A. 2014)

 

  

Und was bleibt?

 

Tina hat nach vier Laufbahn-Ge(h)sprächen (vier verschiedene Routen) und vielen kreativen Ansätzen und Verknüpfungen ihrer Überlegungen in und mit der Natur, ihre Grundlage geschaffen, um sich neu auszurichten. Zudem konnte sie in diesem für sie neuartigen aber angenehmen Beratungssetting ihre Ängste und Bedenken sehr schnell ablegen und sich so sofort auf den Prozess und ihre Neuausrichtung einlassen. Mit ihrem Dank und der Bemerkung am Ende der Beratung «So etwas, wie du hier machst, könnte ich mir auch mal vorstellen.», scheint es für Tina gepasst zu haben. Ich wünsche ihr auf ihrem weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute! Sie ist bereit für weitere Entscheidungen in ihrem Leben.

 

Meine Empfehlung für Beratungspersonen: Selbst in die Handlung zu kommen ist das A und O in der Beratung, nicht nur für unsere Kundinnen und Kunden, sondern auch für uns als Beratungspersonen. Deshalb gilt hier, ausprobieren und lernen!

 

Kurt Adank

Dipl. Berufs-, Studien- und Laufbahnberater IAP

Laufbahngespräche Adank+41 79 544 36 12Albisstrasse 13b | 8932 Mettmenstetten

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