Warum wir uns manchmal gegen unsere Bedürfnisse entscheiden und wie wir das vermeiden können.
Auf Schiene bleiben oder das Gleis verlassen? (Bild: Pixabay)
Das Gewohnheitstier
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und das ist zunächst einmal etwas Gutes. Wie könnten wir unseren Alltag bewältigen, wenn wir laufend über das nachdenken müssten, was wir gerade tun. Dieser energiesparende Autopilot hat jedoch auch Schattenseiten. In der Verhaltenswissenschaft wird das als „Default-Effekt“ beschrieben. Eine kognitive Verzerrung der Realität, die uns auch dann dem einfachsten Weg folgen lässt, wenn andere Entscheidungen sinnvoller und zielführender wären. „Default“ kann dabei mit „Voreinstellung“ oder „Voreingabe“ übersetzt werden.
Der Effekt kann dazu genutzt werden, unser Verhalten zu manipulieren. Ein Beispiel dafür ist die Cookie-Einstellung einer Homepage, bei der der Erlauben-Button auffallend prominent platziert ist. Wir können den Effekt jedoch auch positiv einsetzen, indem wir die Früchteschale einladend auf dem Couchtisch platzieren und die Chips-Packung in die unterste Schublade der Küche verbannen.
Der Lebenslauf eines Gewohnheitstieres
Im Lebenslauf von Menschen beobachten wir den Default-Effekt oft im unreflektierten Umgang mit beruflichen Entscheidungen. Da wählt ein Jugendlicher einen Beruf, den seine Eltern für ihn vorgesehen haben oder weil dafür zufällig eine Lehrstelle im Ort angeboten wird. Eine Frau macht eine kleine Weiterbildung nach der anderen, um doch unzufrieden in ihrem angestammten Beruf zu verharren, anstatt ihre Freude an intellektueller Herausforderung und Fachkompetenz ernst zu nehmen und mit einem Studium ihrer Laufbahn eine klare neue Wendung zu geben.
Wer ehrlich zu sich selbst ist und seinen bisherigen Lebenslauf analysiert, wird den Default-Effekt ziemlich sicher beobachten. Das muss nicht unbedingt negativ sein. Ein eindrückliches positives Beispiel habe ich an einem von Frithjof Bergmann initiierten und von mir geleiteten Mentoren-Training in „New Work“ gehört: Eine Mutter hat ihren mittlerweile zwanzigjährigen Sohn, der die letzten Jahre ohne Ausbildung vorwiegend in seinem Zimmer herumgehängt ist, vor eine Entscheidung gestellt: „Entweder du findest in den nächsten Wochen eine Lehrstelle oder du fliegst hier raus.“ Der Sohn verstand, dass es der Mutter ernst war mit der Drohung. Auf der Suche nach einer Lehrstelle irrte er danach in leichter Panik durch die Stadt. Ins erste Geschäft mit dem Schild „Lehrkraft gesucht“ stürmte er hinein und dort hat er dann auch eine Lehre als Schuhmacher zu Ende gebracht. Zehn Jahre später war er ein gefragter Schuhdesigner. Die Intervention seiner Mutter war damals sicher nicht „default“, die Wahl seiner Ausbildung jedoch ganz offensichtlich.
Waren Ihre bisherigen beruflichen Entscheidungen von negativen oder positiven Gewohnheiten geprägt oder aus einer gewissen Distanz heraus bewusst getroffen? Am besten nehmen Sie dafür Ihren Lebenslauf in die Hand und überlegen sich, in welchen Situationen Sie sich den Raum für eine eingehende Reflexion gegönnt haben und wo Sie Ihre nächsten Schritte jeweils eher aus den jeweiligen Gegebenheiten heraus – default eben – gegangen sind. Vielleicht gehören Sie zu den glücklichen Menschen, bei denen die Gewohnheit oft zu guten Entscheidungen geführt hat. Vielleicht stoßen Sie jedoch auch auf Situationen, in denen Sie sinnvollerweise anders reagiert hätten. Die beunruhigende Frage dahinter ist natürlich: Tun wir das, was wir wirklich, wirklich wollen oder gleicht unser Leben einer Reise auf vorgefertigten Schienen?
Heraus aus dem Trott
Die negativen Auswirkungen des Default-Effektes auf unsere berufliche Entwicklung können wir eindämmen. Dafür müssen wir für eine gewisse Zeit bewusst einen Abstand zu den „Voreinstellungen“ unserer Laufbahn gewinnen. Ein gut strukturiertes Beratungssetting oder einfach eine bewusst eingesetzte Auszeit können dafür eine gute Voraussetzung schaffen.
Nützliche Fragen sind:
Welche beruflichen Entwicklungen waren aus der Dynamik meiner Herkunftsfamilie „vorgesehen“? Unabhängig davon, ob die entsprechenden Erwartungen explizit ausgesprochen oder – oft noch wirkmächtiger – nur implizit vermittelt wurden.
Welche meiner Vorlieben, Eigenschaften, Fähigkeiten und Qualitäten entstammen einem echten Bedürfnis und sollten daher in der Planung meiner beruflichen Entwicklung eine Rolle spielen, auch wenn sie sich durch äußere Umstände nicht unbedingt aufdrängen?
Es gibt auch hilfreiche Online-Tools wie z.B. den WORKNAVIGATOR, um die notwendige Distanz zu unserem Autopiloten zu entwickeln. Auf jeden Fall braucht es die Bereitschaft, einen Reflexionsraum zu schaffen, in dem Entscheidungs- und Handlungsoptionen überhaupt erst entstehen können. Ganz ohne Anstrengung ist dieser Raum nicht zu errichten.
Motivieren kann uns dabei jedoch nicht nur die Vorstellung, dass sich diese Anstrengung lohnen wird, sondern auch, dass sie für sich genommen erfüllend sein kann. Wer sich abseits des vordefinierten Pfades bewegt ist kreativ und erlebt Neues. Diese „Reise“ kann lustvoll und lebendig gestaltet werden. Dabei kann die Hilfe durch einer erfahrenen Fachperson wertvoll sein. Sie kann den Prozess begleiten und blinden Flecken ausleuchten, die bei jedem Default-Effekten eine Rolle spielen.
Der Aufwand lohnt sich selbst dann, wenn sich am Ende herausstellt, dass der aktuelle Job im Moment der richtige ist. Vielleicht geht es dann einfach darum, die gewonnen Erkenntnisse für die Gestaltung der aktuellen Arbeitsstelle einzusetzen.
=> siehe dazu den Blogbeitrag „Jobcrafting - Wie viel Gestaltungsspielraum gibt mir meine Arbeitsstelle?“
=> Buchtipps:
Wendy Wood, Good Habits, Bad Habits – Gewohnheiten für immer ändern, Piper 2024
Thomas Diener, Tu, was du wirklich, wirklich willst – die Alchemie der Berufsnavigation, tredition 2016
=> Tooltipp: www.worknavigator.ch, Onlinetool für die berufliche Standortbestimmung
Thomas Diener
FairWork GmbH
8001 Zürich
044 500 11 01
Comments